Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden
Seit ich mich erinnern kann, wird mein Leben von Bäumen und Erlebnissen mit Bäumen begleitet. Wir hatten in Hiltrup einen großen Obstgarten mit allerlei Apfel- Birnen, Pflaumen und Kirschbäumen sowie einigen besonderen Laubbäumen. Darunter befanden sich eine ganz außergewöhnliche Birne (Madame Verte *), eine gelbe Kirsche (Cerasus avinum flava *) und verschiedene alte Apfelsorten (Malus *). Ich erinnere mich an eine beeindruckende Kastanie (Aesculus hipocastanum) „Heute schon gelebt“) und eine riesige Blutbuche (Fagus purpurea *)
Auf der sandigen Schotterstraße vor dem Haus stand die Allee aus gewaltigen Platanen. (Platanus hispancia ) Beim Nachbarn auf den Hof gab es eine Reihe von Walnüssen, die es mir besonders angetan hatten. ( Juglans regia*).
Mit Vorliebe kletterte ich in den „bekletterbaren“ Bäumen herum und ich trainierte jeden Tag, wie ein Affe von Ast zu Ast zu fliegen und ich brachte es zu erstaunlichen Fähigkeiten. (Gott sei dank bin ich nie heruntergefallen)
Die nicht erklimmbaren Bäume forderten mir immer besonderen Respekt ab, dazu gehörten vor allem die Blutbuche und die Platanen. Ihr Stamm war so hoch und so glatt bis zu den ersten Ästen, dass ich Kleiner unten stand und ehrfürchtig in die Kronen sah.
Zur Pause in der Volksschule packte ich neben meinen Butterbroten die Tüte mit gelben Kirschen aus, da war das Erstaunen groß – gelbe Kirschen – die hatte noch nie einer gesehen.
Später habe ich einiges aus dem „ Kinderobstgarten“ in meinen eigenen Garten zu übertragen versucht. Mitgenommen daraus habe ich unter anderen eine zahme Haselnuss (Corylos maxima atrop. *), die trug riesengroße Früchte. Von einem freundlichen Gärtner bekam ich eine Madame Verte veredelt, weil es diese Sorte schon lange nicht mehr gibt, und als unsere Kinder geboren wurden pflanzte ich bei der Tochter 1972 eine Blutbuche und 1975 zur Geburt des Sohnes einen Rosskastanie. Diese beiden Bäume sind heute der Mittelpunkt unseres Gartens und alle freuen sich an ihnen.
Mein Opa war Förster und er war ein sehr naturverbundener Mensch namens Johannes, und weil er für mich ein großes Vorbild war, wollte ich natürlich auch Förster werden. Leider ist es dazu nicht gekommen. Allerdings habe ich mir einen Teil dieses Jugendtraumes verwirklicht – der Wald in wir uns heute bewegen konnte ich mir 1998 durch glückliche Umstände erwerben und er ist heute mein „Rückzugsgebiet“, meine „Kirche“, in das (in die) ich flüchten kann. Dort bleibt „die böse Welt“ draußen. Hier kann man entspannen, seinen Gedanken nachhängen, hier schöpft man Kraft (auch wenn man schwere Waldarbeit verrichtet) und wird an Körper und Seele getröstet. Ich empfinde das so. Ich spreche mit meinen Bäumen, ich fasse sie an, ich fühle sie. Manchmal tröstet ich sie, wenn es wochenlang nicht geregnet hat, wenn der Eichenprozessionsspinner kommt oder wenn es ihnen schlecht geht.
Ich bewundere Ihre Fähigkeiten, sich zu behaupten in Kälte, Sommerhitze, Sturm oder Trockenheit. Ihre Gestalt und Schönheit erfreut mich, ihre Bodenständigkeit über Jahrhunderte, ihre spezifischen Eigenschaften, die sie für ganz unterschiedliche Anforderungen geeignet machen – ob Schiffsbau, für die Holzschuh- oder sogar die Geigenherstellung für Möbel mit den schönsten Maserungen oder auch nur, um eine warme Stube durch sie zu bekommen.
Doch diese Betrachtung der Bäume ist nicht alles. Bäume sind auch und vor allem Lebensspender, sie sind Sauerstoffproduzenten, sie sind Luftfilter, sie sind Rohstofflieferant, Schattenspender, und wichtig für den Wasserhaushalt. Im ökologischen Kreislauf sind Bäume wichtige Bindeglieder in einer Kette lebensspendender, komplizierter Vorgänge, die auch wir zum Leben brauchen. In ihrer Vielfalt sind Bäume immer wieder bestaunenswerte Schöpfungen, die es um unserer selbst willen zu erhalten gilt. Sie sind ein Teil der Schöpfung.
Seit einiger Zeit sind sie sogar Friedhof. Die Zahl der Menschen, die sich vorstellen können, im Friedwald am Fuße eines alten Baumes auch nach dem Tode geborgen zu sein, wächst.
So erübrigt es sich fast, zu berichten, wie meine Liebe zu Bäumen entstanden ist:
Sie ist gewachsen, sie ist nicht vorübergehend oder einem Zeitgeist unterworfen.
Sie begründet sich auch nicht durch ein besonderes Interesse an Natur und Umwelt.
Sie musste nicht geschaffen werden, sie wächst seit der Kindheit unaufhörlich
und ist ein stetiger Dialog.
Unter den Bäumen
vergaß ich den Lärm der Zeit
manchen Sommer lang
Juni 2009
* siehe auch Gedichtband „Kopfablage“