Mein liebstes Gedicht über Bäume stelle ich meinen Baumgedichten voran. Es vermag auf einzigartige Weise auch mein Empfinden auszudrücken. Mit Bäumen kann man tatsächlich reden und sie trösten jeden – auch mich.
Die Wälder schweigen
Die Jahreszeiten wandern durch die Wälder.
Man sieht sie nicht. Man liest es nur im Blatt.
Die Jahreszeiten strolchen durch die Felder .
Man zählt die Tage. Und man zählt die Gelder.
Man sehnt sich fort aus dem Geschrei der Stadt.
Das Dächermeer schlägt ziegelrote Wellen.
Die Luft ist dick und wie aus grauem Tuch.
Man träumt von Äckern und von Pferdeställen.
Man Träumt von grünen Teichen und Forellen.
Und möchte in die Stille zu Besuch.
Man flieht aus den Büros und den Fabriken.
Wohin ist gleich! Die Erde ist ja rund!
Dort, wo die Gräser wie Bekannte nicken,
und wo Spinnen seidne Strümpfe stricken
wird man gesund.
Die Seele wird vom Pflastertreten krumm.
Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden
und tauscht bei ihnen seine Seele um.
Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm.
Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.
Erich Kästner
Foto: Wolfgang Schürmann Münster