Barmherzigkeit
Miezel, eine schlaue Katze
Molly, ein begabter Hund
wohnten an demselben Platze
Hassten sich aus Herzensgrund.
Schon der Ausdruck ihrer Mienen
Bei gesträubter Haarfrisur
Zeigt es deutlich: zwischen ihnen
Ist von Liebe keine Spur.
Doch wenn Miezel in den Baume
Wo sie meistens hin entwich
Friedlich dasitzt wie im Traume
Dann ist Molly außer sich.
Beide lebten in der Scheune
Die gefüllt mit frischem Heu
Alle beide hatten Kleine
Molly zwei und Miezel drei.
Einst zur Jagd ging Miezel wieder
Auf das Feld: da geht es Bumm
Der Herr Förster schoß sie nieder
Ihre Lebenszeit ist um.
Oh, wie jämmerlich miauen
Die drei Kinderchen daheim
Molly eilt, sie zu beschauen
Und ihr Herz geht aus dem Leim.
Und sie trägt sie kurzentschlossen
Zu der eignen Lagerstatt
Wo sie nunmehr fünf Genossen
An der Brust zu Gaste hat.
Mensch, mit traurigem Gesichte
Sprich nicht nur von Leid und Streit
Selbst in Brehms Naturgeschichte
Findet sich Barmherzigkeit.
Wilhelm Busch 1832 – 1908